Flugblatt
des Ausschuss gegen Rechts:
„Ich war bereits voriges Jahr um diese Zeit der Überzeugung,
dass es bei dem Münchener Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland
anderen Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stellen und sich
andere Länder einverleiben wird und dass deshalb ein Krieg
unvermeidlich ist, d. h. ich hatte die Vermutung, dass es so kommen
wird. Dies war meine eigene Auffassung. Ich kann mich nicht
erinnern, dass Arbeitskameraden nach dem Abkommen von München 1938
noch von einer weiteren Kriegsgefahr sprachen. Ich gebe allerdings
zu, dass ich in dieser Zeit ausländische Radiosendungen gehört
habe.“ – Berliner Verhörprotokoll vom 21. November 1939
Am 8.11.1939 führte der schwäbische Kunstschreiner Georg Elser
im Münchener Bürgerkeller ein Attentat gegen Hitler aus, das nur
knapp scheiterte. Es sollte das erste versuchte Attentat gegen
Hitler sein. Anders als bei dem von Militärs durchgeführten
Attentat von 20. Juli 1944 handelte Elser ohne persönliche, elitäre
Machtansprüche.
Johann Georg Elser wurde 1903 in Königsbronn geboren und war als
gelernter Schreiner nach wiederkehrender, durch die
Wirtschaftskrise bedingter Arbeitslosigkeit in verschiedenen
Betrieben in der schwäbischen Alp tätig. Elser setzte sich schon
früh mit den Bedingungen der Arbeiter*innenschaft auseinander und
trat 1928 dem Roten Frontkämpferbund, der paramilitärischen
Organisation der KPD, bei. Auch wenn er sich in dieser nie wirklich
aktiv engagierte, war Elser ein überzeugter Wähler der KPD und war
von Beginn an Gegner des deutschen Faschismus. So soll er den
Hitlergruß verweigert und bei Radioübertragungen von Hitlers Reden
den Raum verlassen haben. Obwohl Frankreich und England dem
Völkerrecht zum Trotz auf der Münchener Konferenz den territorialen
Forderungen der sogenannten „Sudetenfrage“ Hitlers an der
Tschechoslowakei hinnahmen, befürchtete Georg Elser bereits früh
einen bevorstehenden Krieg und fühlte dies durch den Überfall auf
Polen durch die Wehrmacht am 1. September 1939 bestätigt. Elser sah
von nun an eine dringende Notwendigkeit, entschlossen der Barbarei
des NS-Staats entgegen zu treten, um so den Krieg und ein weiteres
Blutvergießen zu verhindern.
Von diesem Zeitpunkt an plante Elser ein Jahr lang akribisch das Attentat auf Hitler. Als Ort hatte er schon bald den Bürgerkeller in München ausgewählt, in dem seit dem gescheiterten Putsch von 1923 alljährlich in einer pseudoreligiösen Verbrämung der Putschversuch als große Heldentat stilisiert wurde. Nach langer Planung konstruierte Elser schließlich mit Sprengstoff, den er sich bei seiner Arbeit in einem Steinbruch beschafft hatte, und zwei Uhrwerken einen Sprengkörper, welchen er in einer aufwändig präparierten Säule neben Hitlers Rednerpult deponierte. Allein der Umstand, dass Hitler und mit ihm weitere wichtige Parteifunktionäre 20 Minuten früher den Saal verließen, um in Berlin Vorkehrungen für den „Fall Gelb“, den Angriff des Westens, zu treffen, ließ den Plan scheitern.
Es gab verschiedene Gründe, weshalb Menschen in den Widerstand
zu dem deutschen Faschismus traten. Der Kreis um Claus Schenk von
Staufenberg entstammte der deutschen Elite und besetzte wichtige
Positionen im Militär und der Außenpolitik. Viele Mitglieder seines
„Widerstandskreises“ waren von Anfang an in der NSDAP aktiv und
begrüßten auch die Machtergreifung Hitlers. Die Motive des
militärischen Widerstands waren daher keineswegs vordergründig den
Faschismus oder den Krieg zu beenden, sondern galten vielmehr
eigenen Machtinteressen, zu deren Zweck „Hitler wie ein toller Hund
abgeschossen werden müsse“. Ebenso hatten diese Militärs auch keine
demokratische Verfassung vor Augen, sondern glaubten an die
Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von gegebenen autoritären
Strukturen.
Im Gegensatz dazu war Georg Elser von dem Unrecht und der
Menschenverachtung des NS-Regimes überzeugt und sah schon früh
dessen Verbrechen. Er erkannte als Einzelperson die Brutalität des
NS-Regimes. Daraus leitete er die Notwendigkeit, Verantwortung zu
übernehmen, sowie die humanistische Verpflichtung Widerstand zu
leisten ab. Wie das 1964 entdeckte Verhörprotokoll der Gestapo
zeigt, ließ sich Elser nicht von der demagogischen NS-Propaganda
blenden. Er sah die kontinuierliche Verschlechterung der sozialen
Lage der Arbeiter*innen im NS Staat, die Gleichschaltung und die
systematische Ausschaltung der Menschenrechte durch das
Regime.
„Nach meiner Ansicht haben sich die Verhältnisse in der
Arbeiterschaft nach der nationalen Revolution in verschiedener
Hinsicht verschlechtert. […] Ferner steht die Arbeiterschaft nach
meiner Ansicht seit der nationalen Revolution unter einem gewissen
Zwang. Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr
wechseln wie er will, er ist heute durch die HJ. nicht mehr Herr
seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht
mehr so frei betätigen.“
Elser hatte den Mut und den unbedingten Willen dem Bösen
entgegenzutreten. Er nahm dafür große Gefahren in Kauf und wählte
zum Schutz seines sozialen Umfelds die fast vollständige
Isolation.
Kurz nach der Detonation begann die Gestapo mit der Suche nach
dem*der Täter*in und schon sehr bald kam der an der schweizerischen
Grenze als mutmaßlicher Deserteur Gefasste in das Visier der
Fahnder*innen. Elser wurde in München von der Gestapo verhört und
gefoltert. Das Geständnis Elsers nutzten die Demagogen der
NS-Propaganda, um Georg Elser als „Werkzeug des britischen
Geheimdienstes“ darzustellen und das Überleben Hitlers als
„Vorsehung“ zu stilisieren. Nach einem Schauprozess vor dem
Volksgericht wurde Elser mehr als fünf Jahre in Isolationshaft in
den KZ Sachsenhausen und Dachau gefangen gehalten. Am 9. April
1945, 20 Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers, wurde
Georg Elser in Dachau ermordet.
Anders als Claus Schenk von Stauffenberg, welcher 1952
rehabilitiert und dessen Tat als anerkanntes Widerstandsrecht
angesehen wurde, schenkte man Elser in der Bundesrepublik keine
Beachtung und verunglimpfte ihn nach wie vor als „Verräter“. Häufig
durch bewusst aufrechterhaltende Gerüchte der Nazi Zeit diffamiert,
passte Elser als kommunistischer Widerstandskämpfer nicht in das
Weltbild des Kalten Krieges. Der Historiker Hellmut G. Haasis
trifft den Kern, als er ihn als „einen Mann ohne gesellschaftliche
und politische Legitimation“ beschreibt. Elser fehlte verglichen zu
Stauffenberg als einfacher Arbeiter „der richtige Stallgeruch, eine
vorzeigbare Verwandtschaft, blaues Blut, Abitur und das zweite
juristische Staatsexamen“. Diese bewusst anti-kommunistische
Geschichtsschreibung der Bundesrepublik konnte erst durch
jahrelange Arbeit von Historiker*innen gewendet werden, sodass
Georg Elser seit den 1980er Jahren endlich als Widerstandkämpfer
die gebührende Anerkennung zu Teil wurde.
Johann Georg Elser, der jahrzehntelang zu Unrecht verschwiegen,
verdrängt und vergessen wurde, ist ein Held unserer Zeit, denn er
hatte den grenzenlosen Mut und die Handlungsbereitschaft, dem Bösen
entgegen zu treten und zu zeigen, dass die Barbarei des NS-Staats
nicht alternativlos war.