Die Bildung zur mündigen Persönlichkeit und die freie Wahl des Studiums ist ein Grundrecht. Dem entsprechend wurde 1971 das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) unter dem Druck der 68er-Bewegung als „Rechtsanspruch“ auf „individuelle Ausbildungsförderung“ (§1) ohne Rückzahlungspflicht eingeführt. Ein Jahr später wurden 44,6 % aller Studierenden BAföG-gefördert. Die aktuelle Lage der Studierenden bedeutet nach den neoliberalen Jahrzehnten aus Steuersenkung, Privatisierung und Sozialstaatsabbau eine permanente Grundrechtseinschränkung, was die Auswertung der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (Erhebung 2016) für Hamburg erneut belegt.
Die Hansestadt liegt mit durchschnittlich 374€ für Miete (+51€ zum BRD-Schnitt) und 189€ (+21€ zum BRD-Schnitt) für Ernährung im Städtevergleich an der Spitze der Lebenshaltungskosten. Selbst für Wohnheimplätze müssen im Schnitt 293€ aufgewendet werden, obwohl die Wohnpauschale im BAföG nur 250€ vorsieht. Ein Drittel von uns Studierenden muss pro Monat mit weniger als 850€ auskommen und lebt damit offiziell unterhalb der Armutsgrenze. 50 Jahre nach 1968, als es nicht zuletzt darum ging, Studierende als intellektuelle Arbeiter*innen sozial von Fürsorgeinstanzen durch ein Studienhonorar zu befreien, ist die Abhängigkeit mit 84% an elterlich geförderten Studierenden heute enorm. Vom Gesamteinkommen werden nur noch 9% durch BAföG-Mittel bestritten, nur 18% (2009: 23%) der Befragten erhalten überhaupt noch BAföG. Die Folge ist ein enormer Druck zur Lohnarbeit neben dem Studium, der 79% der Hamburger Studis nachgehen müssen. Ein Drittel der Durchschnittsstudierenden gibt an, dass die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts nicht sichergestellt sei. Die Gesamtarbeitszeit für Selbststudium (17,4h), Lehrveranstaltungen (15,1h) und Lohnarbeit (9,4h) landet – jenseits der Marke eines Vollzeitjobs – bei 42,9 Wochenstunden. Gesellschaftliches Engagement oder Freizeit und andere Reproduktionstätigkeiten finden daneben kaum mehr Platz.
Wissenschaft als potentielle „Selbstbefreiung des Menschen durch Aufklärung“ (Dutschke) wird so strukturell zur angstgetriebenen Anpassung an Unternehmensinteressen und Erziehung zu Gehorsam deformiert. Die Hoffnung, (im Studium) zu einer inhaltsbasierten, friedlichen, sozialen, demokratischen und ökologischen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen, soll so zwischen Humankapitalveredelung, Lohnarbeitsdruck, Elternerwartung, Creditpointjagd und Zukunftsangst privatisiert werden. Der häufigste Grund für Studienunterbrechung ist passenderweise in Hamburg der „Zweifel am Sinn des Studiums“ (21%). Jede vierte Person gibt an, gesundheitlich beeinträchtigt zu sein, mehr als die Hälfte davon aufgrund psychischen Leidens. Dazu trägt sicher auch die – faktenwidrige – kulturelle Einrede bei, Studierende seien ja privilegiert, für ihre Lage allein selbst verantwortlich und deswegen zu Demut verpflichtet.
Mit der Kampagne „International Solidarisch – Schluss mit Austerität“ haben wir uns vorgenommen, eine der zentralen Problemursachen (unserer Lage) und Entwicklungshemmnisse unserer Zeit zu überwinden: die spaltende Politik der Austerität (Entbehrung). Wir wollen die Schuldenbremse aus Köpfen und Verfassungen streichen und für den massiven Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge kämpfen – und so auch die Sinnentleertheit im Studium durchbrechen und es mit emanzipatorischen Grundsätzen füllen.
Unter dem Motto der Austerität wurde das BAföG – besonders unter Kohl – zum Schatten seiner selbst ausgehöhlt. In Hamburg wurde die Zahl an Sozialwohnungen zugunsten privater Konzerne durch die neoliberalen Senate von ca. 190.000 im Jahr 1994 auf heute noch knapp 90.000 atomisiert. Vor diesem Hintergrund spielt das Studierendenwerk heute eine wichtige Rolle. Doch auch hier wurden die finanziellen Zuwendungen der Stadt massiv zusammengestutzt und seitdem unter Verweis auf die „Schuldenbremse“ eingefroren. Folglich musste der Studierendenbeitrag seit dem Wintersemester 2004/2005 mehr als verdreifacht werden. Allein im Bereich Wohnen hat sich beim Studierendenwerk Hamburg einen Invesititionsstau von 160 Mio. € angesammelt.
Wir brauchen also im Rahmen der kommenden Haushaltsverhandlungen eine massive Erhöhung der städtischen Zuwendungen an das StudiWerk. Bundesweit streiten wir für den Ausbau des BAföGs zum bedarfsdeckenden, elternunabhängigen Vollzuschuss!
Für all das haben wir studentischerseits für die kommende Vertreterversammlung – das demokratische Herzstück des Studierendenwerks – Anträge eingebracht zur konsequenzenreichen Diskussion der Sozialerhebung, politischer Aktivitäten im Rahmen der Haushaltsverhandlungen der Stadt und der Unterstützung der Anti-Austerity-Kampagne. Die Sitzungen sind hochschulöffentlich!
Also kommt vorbei und diskutiert mit! Am Mittwoch, den 20. Juni 2018 um 14 Uhr im großen Sitzungssaal, Studierendenhaus (VMP 2)