Flugblatt
des Ausschuss gegen Rechts:
In Chemnitz, Dresden und zahlreichen anderen Orten der
Bundesrepublik hetzten 2018 rechte Mobs durch die Straßen, während
die bürgerlichen Parteien in Diskussionen und politischen Maßnahmen
immer weiter nach rechts driften. Dabei wird sich realitätsfern auf
das Führen einer „Flüchtlingsdebatte“ versteift, anstatt die realen
Probleme dieses Landes zu benennen und anzugehen: Die
Einkommensungleichheit in Deutschland ist tendenziell steigend, wie
das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) zeigt; noch größer ist die
Ungleichheit der Vermögensverteilung. Im europäischen Vergleich ist
Deutschland als besonders ungleich zu erkennen. Die Studie „Die
weltweite Ungleichheit“ aus dem Jahr 2017 (Thomas Piketty u.a.)
kommt zu dem Schluss, dass für diese Ungleichheit in erster Linie
Privatisierungen verantwortlich sind. Eine WZB-Studie aus dem Jahr
2018 macht darauf aufmerksam, dass die soziale Spaltung sich auch
in räumlicher Segregation der Angehörigen unterschiedlicher
sozio-ökonomischer Schichten niederschlägt, und zwar immer
deutlicher – verschärft insbesondere in Ostdeutschland. Der Trend
geht in die Richtung amerikanischer Verhältnisse mit Elendsvierteln
auf der einen, abgeschotteten Gated Communities für die Reichen auf
der anderen Seite. Die Kompensierung der empfundenen
„Alternativlosigkeit“ angesichts dieser Verhältnisse durch
Vorurteile und Schuldzuweisungen gegen als anders wahrgenommene –
meist gegen „Nichtdeutsche“, aber auch manifest in der
innerdeutschen Ost-West-Spaltung – gießt, wie zuletzt prägnant in
Chemnitz zu beobachten war, bloß noch Öl ins Feuer.
Keine bessere Ausgangssituation also um am 3. Oktober den
deutschen Nationalfeiertag, den „Tag der Deutschen Einheit“, zu
feiern – dachte sich da wohl niemand so wirklich. Und doch wurde
rund um den 3. Oktober mit einem Programm von Gottesdienst über
Karaoke bis Performancekunst zwischen Reichstag und Brandenburger
Tor in Berlin zu Ehren der Wiedervereinigung ein dreitägiges
Bürger*innenfest („das größte Fest des Jahres“) begangen. Unter dem
paternalistischen wie exkludierenden Motto „Nur mit euch“ sollten,
wenn schon die grundsätzliche Notwendigkeit der Erhaltung der
Demokratie nicht politisch durchgesetzt wird, doch immerhin „drei
Tage lang Vielfalt und Demokratie, Gemeinschaft und Engagement in
den Mittelpunkt rücken“. Es wurde die „erfolgreiche Einheit von
1990“ gefeiert und die besondere demokratische Tradition
Deutschlands, die insbesondere durch die Nationalfarben
repräsentiert werde, honoriert.
Diese pathos- bis nationalismusgetränkte Gefühlsduselei ist vor
allem in ihrer gesellschaftlichen Funktion zu entlarven: Sie soll
ablenken von deutlich ausgeprägten Ansprüchen in der Bevölkerung,
die einen echten gesellschaftlichen Wandel einfordern. Dieser
Wandel beinhaltet eine andere Politik der öffentlichen Diskussion,
Investition in Sozialstaat, Infrastruktur und Kultur sowie zivile
internationale und innergesellschaftliche Zusammenarbeit zur Lösung
der drängendsten Probleme unserer Zeit – insbesondere der sozialen
Ungleichheit.
Gegen diese Ansprüche und gesellschaftlichen Bewegungen wird –
versteckt unter moralischer Anrufung von Einheit und Vielfalt –
Nationalgefühl bemüht. So geriert man sich bis weit in vermeintlich
progressive Kreise hinein als die Mehrheit „wirklicher
Patriot*innen“ und will Begriffe wie „Heimat“ wieder positiv
besetzen. Die offensichtlichen gesellschaftlichen Spaltungen
zwischen Gruppen mit einem gemeinsamen Interesse an der Änderung
der ökonomischen Verhältnisse sowie der tiefgehende, eigentliche
Konflikt zwischen demokratischer, sozialer und friedlicher Mehrheit
und reaktionären, im eigenen Interesse die Konkurrenzideologie
verteidigende Gesellschaftsgruppen, werden hiermit kaschiert.
Wir brauchen keine Ostalgie und die Mauer in ihrer trennenden
Funktion oder gar die Stasi wünscht sich sicher niemand zurück. Wir
brauchen aber vor allem keine Nostalgie nach imaginierten Zeiten,
in denen „Deutschland den Deutschen“ galt und die gesellschaftliche
Spaltung in „Oben und Unten“ nicht hinterfragt wurde. Es ist in
diesem Kontext ein fatales Symbol, als Nationalfeiertag einen Tag
auszuwählen, der Freiheit im Mauerfall 1989 vor allem darum sieht,
weil sie zwischen den vermeintlich „einem Volke Angehörigen“ stand,
und weil als Folge 1990 ein sozialistisch ausgerichteter Staat in
einen durch und durch kapitalistischen integriert wurde. Denn mit
Berufung auf eben jene „Freiheit“ wird heute das Prinzip der
Ausbeutung weiter gesteigert, der innergesellschaftliche Konflikt
verschärft und die zur Aufrechterhaltung des ausbeuterischen
Systems nötige Abschottung durch die Mauer Mittelmeer erfüllt.
Hinzuwirken ist dagegen auf ein Verständnis von Staaten als
Verwaltungseinheiten der solidarischen Weltgemeinschaft, statt als
antagonistisch miteinander konkurrierende, pathosbeladene
Konstrukte.
Dafür bedarf es eines vernünftig analytischen statt
verschleiernden Problemverständnisses. Der Solidaritätsbegriff muss
seine nationale Verengung endgültig hinter sich lassen, wie es
heute bereits in der internationalen Flüchtlingssolidarität
stattfindet. Soziale Ungleichheit muss durch das Beenden der
Konkurrenzlogik angegangen werden. Denn gegen soziale Abstiege und
politische Vereinzelung als Grundlage rechter Hetze hilft das
Beschwören nationaler Einheit nicht, sondern ist im Gegenteil
schädlich. Soll den Rechten wirklich der Nährboden entzogen werden,
muss die fatale Austeritätspolitik beendet werden, die mit ihrer
Orientierung am Dogma der schwarzen Null bis heute in ganz
Deutschland, Europa und der Welt ihr Unwesen treibt. Nicht zuletzt,
weil diese Politik in der ehemaligen DDR noch drastischer zu spüren
ist als in Westdeutschland, da dort auf die Angliederung an die BRD
der Ausverkauf öffentlichen Eigentums folgte – mit den
obligatorischen zerstörerischen Folgen von Privatisierung, welches
durch das Narrativ des „rückständigen Ossis“ verschleiert werden
soll. Das beste Mittel zur Realisierung progressiver Alternativen
zum gar nicht so feierlichen Status quo ist also der politische
Kampf für soziale Gerechtigkeit – für eine humanistische
Verbundenheit anstelle einer bloß deutschen
Vereinheitlichung!