Eingereicht von den Gruppen SDS*, Liste LINKS, harte
zeiten, CampusGrün, UKElerVereint in den Ausschuss gegen Rechts des
Studierendenparlaments. Beschlossen vom Studierendenparlament in
der Sitzung am 18. Oktober 2018. Flugblatt
des Ausschuss gegen Rechts:
Am 9. November 1938 wurde in Hamburg die jüdische Synagoge am
Bornplatz in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universität Hamburg
verwüstet und geschändet. Im gesamten deutschen Herrschaftsgebiet
wurden jüdische Einrichtungen verwüstet und zerstört sowie
Jüd*innen verfolgt, angegriffen und ermordet. Die
„Reichspogromnacht“ bildet damit eine Zuspitzung der immer
brutaleren Vernichtungspolitik der Faschist*innen gegen Jüd*innen
im Sinne der NS-Rassenideologie. Die versuchte Entmenschlichung der
Jüd*innen durch die Nürnberger Rassegesetze war bereits juristisch
etabliert. Im Zuge der Pogromnacht legalisierte der Staat auch noch
das offene Verbrechen gegen sie und wies die Schuld daran gar den
Jüd*innen selbst zu, die für den durch die Lynchmobs verursachten
Schäden haftbar gemacht wurden.
1938 hatte die Uni Hamburg ihre ideologische Gleichschaltung und
sogenannte „rassische“ Säuberung längst mitvollzogen. Schon vor
1933 hatte die Verfolgung humanistischer, linker, demokratischer
und jüdischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – unter
initiativer Beteiligung des NS-Studentenbundes – eingesetzt.
Besonders die Bücherverbrennungen im Mai 1933 wurden maßgeblich von
den faschistischen Studenten organisiert.
Diese Entwicklung war nicht alternativlos. Gegen die barbarische
Ideologie und Praxis der Nazis regte sich auch Widerstand. Die
Weiße Rose bildete sich als intellektuelles Gegengift zum
Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus und Antihumanismus der
Nazis. Dazu spricht die letzte Überlebende, Traute Lafrenz, im
aktuellen SPIEGEL-Interview: „Ab 1935 veranstaltete sie [Erna
Stahl] heimliche Treffen mit uns. Während das Land im Gleichschritt
marschierte, entartete Kunst und verbotene Bücher verbrannte, lud
sie uns ein, genau diese Bücher mit ihr zu lesen. Tucholsky, Kafka,
Erich Kästner. Das war, wie gegen das Böse geimpft zu werden. [...]
Vielleicht braucht man Empathie, damit Schönheit etwas in einem
auslöst. Je mehr Bücher ich las, desto mehr machten sie Front in
mir. […] Hans liebte Literatur, genau wie ich, also führten wir die
Leseabende, die ich aus Hamburg kannte, auch in München ein. Am
Anfang waren wir nur eine Handvoll Leute, dann kamen auch Sophie
Scholl und etwa zehn andere Studenten, denen wir vertrauen konnten,
dazu. Wir hörten Swing und tranken Wein, lasen Puschkin oder
redeten über Malerei.“ (Traute Lafrenz, „Wir hatten keine
Ahnung, wie allein wir waren“, DER SPIEGEL, 21. September
2018)
Ausgehend von dem Impuls des Lebendigerhaltens christlicher und
humanistischer Werte entwickelten die „braven, herrlichen jungen
Leute“ (Thomas Mann) der Weißen Rose zunehmende Offensivität
gegenüber der Dummheit, Brutalität und Menschenverachtung der
Faschist*innen. Sie verteilten insgesamt sechs verschiedene
Flugblätter in steigender Auflage von am Ende 9000 Exemplaren. Nach
ihrer Zerschlagung und der Ermordung vieler Protagonist*innen
konnten die Flugblätter dank der Verbindung nach Hamburg über
Skandinavien nach Großbritannien gelangen und von britischen
Fliegern über Deutschland abgeworfen werden. So wirkte der
kämpferische Humanismus dieser kleinen Widerstandsgruppe
entscheidend an Aufklärung und Hoffnungsstiftung zum Sieg über den
deutschen Faschismus mit!
Der Antisemitismus der Faschist*innen diente in der damaligen
tiefen Krise des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens dazu,
eine einfache „Lösung“ für diese vorzutäuschen. Die behauptete
Verschmelzung des Widerstreits zwischen Praktiken der Unterdrückung
und Ausbeutung gegen das Streben der Bevölkerung, insbesondere der
Arbeiter*innen, nach einem menschenwürdigen Leben in Freiheit und
Frieden in der nun als ethnisch gefassten „deutschen
Volksgemeinschaft“ mit ihrer aggressiven, feindseligen und
antihumanistischen Ideologie sollte auch funktional dazu führen,
soziale Konflikte zu harmonisieren, zu verdecken und sie somit zu
verfestigen.
Die Weiße Rose betonte dementgegen die strukturellen Ursachen
für Ohnmachtsgefühle, Verunsicherung und Leid, auf dessen Boden die
rechte Demagogie verfangen konnte, und stritten für eine
alternative Welt der sozialen Gleichheit, kulturellen Egalität,
demokratischen Verfügung und Wirtschaftsdemokratie: "Was lehrt
uns der Ausgang dieses Krieges, der nie ein nationaler war? Der
imperialistische Machtgedanke muß, von welcher Seite er auch kommen
möge, für alle Zeit unschädlich gemacht werden. Ein einseitiger
preußischer Militarismus darf nie mehr zur Macht gelangen. Nur in
großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden
geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird.
Jede zentralistische Gewalt, wie sie der preußische Staat in
Deutschland und Europa auszuüben versucht hat, muß im Keime
erstickt werden. Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch
sein. Nur eine gesunde föderalistische Staatenordnung vermag heute
noch das geschwächte Europa mit neuem Leben zu erfüllen. Die
Arbeiterschaft muß durch einen vernünftigen Sozialismus aus ihrem
Zustand niedrigster Sklaverei befreit werden. Das Truggebilde der
autarken Wirtschaft muß in Europa verschwinden. Jedes Volk, jeder
einzelne hat ein Recht auf die Güter der Welt! Freiheit der Rede,
Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der
Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des
neuen Europas. Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die
Flugblätter!“ (Flugblatt V der Weißen Rose, Januar 1943)
Was lernen wir daraus für heute? In Zeiten der sozialen und
politischen Polarisierung, die sich auf den Trümmern neoliberaler
Sozial- und Gesellschaftspolitik erhebt, gilt es heute mehr denn
je, aus der Geschichte – und besonders aus dem antifaschistischen
Widerstand – zu lernen und Konsequenzen zu ziehen. Wenn in der BRD
wieder offen eine „Erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ (Björn
Höcke) oder „Stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in den
beiden Weltkriegen“ (Alexander Gauland) eingefordert wird und die
dies vertretende politische Partei in den Umfragen zur
zweitstärksten aufsteigt, heißt es erst Recht, den Finger in die
Wunde zu legen und mutig dem Humanismus der
Widerstandskämpfer*innen aktualisiert zur Geltung zu verhelfen. Wir
müssen jederzeit wachsam sein und für das eintreten, was uns zu
Menschen macht. Dafür tragen wir insbesondere als Mitglieder dieser
Universität mit ihrem humanistischen und daher notwendig
antifaschistischen Ideal gemeinsam gesellschaftliche
Verantwortung.