Dem Kampf um den Hambacher Wald liegt eigentlich eine radikale Frage demokratischer Organisierung der Gesellschaft und ihrer natürlichen Grundlage zugrunde. Wer darf die Natur besitzen? Steht das Privateigentum an Grund und Boden über den Bedürfnissen einer Gesellschaft?
Wir meinen: Die jüngere Geschichte lehrt uns, dass der Ausverkauf der Natur unvernünftig ist. Die zunehmende Zahl an Klima-Katastrophen, Extremsommern und Ernteausfällen zeigt, dass das Mensch-Naturverhältnis dringend neu zu organisieren ist. Wie bisher kann es nicht weitergehen. Der Hambacher Wald ist hierbei längst ein europaweit bekanntes Exempel für einen weltweit laufenden Konflikt geworden: Der RWE-Konzern und seine Geschichte bestätigen, dass die kapitalistischen Verhältnisse überwundern werden müssen, um eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen zu betreiben.
Das Unternehmen RWE, das Ende des 19. Jh. gegründet wurde, wuchs Anfang des 20. Jahrhunderts schneller als der regionale Energieverbrauch - was verdeutlicht, dass die Nachfrage eben nicht das Angebot bestimmt. Die damals entstandenen ersten Groß-Kohlekraftwerke waren nicht lukrativ - es bestand im „Reich“ eine Überproduktion von 28% an elektrischer Energie - mussten es deswegen erst gemacht werden: Die Machtergreifung der Nazis war für RWE eine begrüßte und später unterstützte gesellschaftliche Entwicklung,¹ da erst die energieintensive Aufrüstung der Wehrmacht eine Lösung des „Strukturproblems“ Energie-Überproduktion mit sich brachte. Allein das RWE-Kraftwerk Goldenberg erzeugte 1943 jede achte kWh der öffentlichen Stromversorgung und war somit wesentliche Grundlage für die weitere Bewaffnung im fortgeschrittenen Weltkrieg.
Gestärkt aus dem Nationalsozialismus kommend, wuchs RWE im Nachkriegs-Westdeutschland zum größten Energiekonzern. Obwohl die Schädlichkeit von Braunkohle längst bekannt war, konzentrierte sich das Unternehmen, das schon im Besitz aller bedeutenden Braunkohlevorkommen war, auf die schon damals als umweltschädlich und gesundheitsgefährdend bekannte Verbrennung von Braunkohle. Noch heute produzieren allein die drei größten Braunkohlekraftwerke RWEs mit 80 Mio.Tonnen CO 2 /Jahr 10% der gesamtdeutschen Emissionen. Die treuhandvermittelte Übernahme zahlreicher Ost-Kraftwerke nach der Wende und die europäische Liberalisierung der Energieversorgung resultierten in dem bis heute mächtigsten Energie-Konzern, der Quartett der Großen Vier (daneben EnBW, Vattenfall, E.ON.) besteht und mit ihnen ein Oligopol bildet. Diese Macht über die Energieversorgung und die EnergieInfrastruktur lässt RWE heute zu einem Online-Auftritt kommen, in dem es heißt: „RWE ist unverzichtbar für das Funktionieren des gesamten Energiesystems und für die Versorgungssicherheit in Europa."
Diese machtvolle Position ist auch Grundlage von RWE-Manager (Harald) Marx, der sich sicher ist, dass das bürgerliche Recht und die Politik in dem Konflikt um den Hambacher Wald auf seiner Seite stehen¹. (Karl) Marx hat allerdings schon im Konflikt um das Holzdiebstahlsgesetzt im Rheinland über 150 Jahre zuvor deutlich gemacht, dass es eben nicht nur um das positive Recht in der Sache geht, sondern das Gesetz (hier zum Hambacher Wald als Privateigentum) politisch im Sinne der gesellschaftlichen Bedürfnisse ausgelegt werden muss².
Zu Ende gedacht bedeutet dies heute die Verstaatlichung der Energieriesen, denn: Erstens ist die weitere Nutzung von Braunkohle zur Energiegewinnung gegenüber heute möglichen technologischen Verfahren zur nachhaltigen Energiegewinnung nur durch Profitmaximierung und unter Ignoranz der gesellschaftlich zu tragenden Umweltfolgekosten begründbar. Zweitens widerspricht die weitere Rodung von Wäldern zur Energiegewinnung gesellschaftlichen Bestrebungen zum Klima- und Umweltschutz im Sinne der Sustainable Development Goals der UN. Vielleicht sind Anteile der Infrastruktur der RWE aktuell unverzichtbar, ganz sicher aber nicht ihre privatwirtschaftliche Organisierung.
In der neoliberalen Marktwirtschaft versteht sich der Staat stattdessen als Verteidiger des Rechts auf Privateigentum an den Produktionsmitteln. Da gegen das Allgemeinwohl und die Proteste um den Hambacher Wald ein so großer Polizeieinsatz für das Kapital organisiert wird, dass selbst die Polizei bereits für eine Demokratisierung des Konflikts einsteht, muss die radikale Forderung nach einer demokratischen Organisierung der Wirtschaft im Widerstand zu den vorherrschenden Verhältnisse durchgesetzt werden. Die letzten Proteste machen bereits deutlich, dass Großteile der Bevölkerung sich diese Konzerne und damit eigentlich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht mehr leisten wollen. Hambach kann also Wendepunkt sein: Eine Erhaltung des Waldes und das Ende des Braunkohle-Abbaus vor Ort ist die Alternative zur vorherrschenden These der Alternativlosigkeit.
Wir rufen deshalb hiermit zu den kommenden Protestaktionen rund
um den Hambacher Wald auf, um die Rodung zu verhindern und die
Forderung nach einer gemeinschaftlichen, gesamtgesellschaftlichen
Verfügung über den Umgang mit natürlichen Ressourcen und einer
rationalen Regelung des Mensch-Naturverhältnisses zu
verallgemeinern.
¹„Die Tagebaue Hambach und Inden sollen dagegen im vollen
geplanten Umfang weiter genutzt werden. Die aktuelle schwarz-gelbe
Landesregierung hat diese Entscheidung übernommen. Beide
Landesregierungen haben gesagt, dass die Kohle noch über 2030
hinaus gebraucht wird. Wir haben Recht und Politik auf unserer
Seite." -Harald Marx (RWE Manager), Interview mit ZEIT ONLINE,
https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-09/harald-marx-rwe-hambacher-forst-raeumung-braunkohle-rodungsplaene-tagebau,
27.09.2018.
² „Holz bleibt Holz in Sibirien wie in Frankreich; Waldeigentümer bleibt Waldeigentümer in Kamtschatka wie in der Rheinprovinz. Wenn also Holz und Holzbesitzer als solche Gesetze geben, so werden sich diese Gesetze durch nichts unterscheiden als den geographischen Punkt, wo, und die Sprache, worin sie gegeben sind. Dieser verworfene Materialismus (...) ist eine unmittelbare Konsequenz jener Lehre, welche die »Preußische Staats-Zeitung« dem Gesetzgeber predigt, bei einem Holzgesetz nur an Holz und Wald zu denken und die einzelne materielle Aufgabe nicht politisch, d.h. nicht im Zusammenhang mit der ganzen Staatsvernunft und Staatssittlichkeit zu lösen." -Karl Marx, Debatte über das Holzdiebstahlgesetz, Rheinische Zeitung Nr. 307, 02.11.1842.