CampusGrün Hamburg

Antrag: Solidarität mit den um ihre Verfasstheit kämpfenden Studierendenschaften

Diesen Antrag haben wir in das Studierendenparlament Hamburg wie auch in den CampusGrün-Bundesverband eingebracht.

Demokratie ist keine abstrakte Idee, sondern benötigt zu ihrer Realisierung kritische Individuen, die sich mit gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen, sie analysieren und gegen Missstände vorgehen. Das Studierendenparlament der Universität Hamburg zeigt sich solidarisch mit den U-AStA-Strukturen und studentischen Initiativen in Bayern und unterstützt Kampagnen zur Wiedereinführung der dortigen Verfassten Studierendenschaften. Das Studierendenparlament der Universität Hamburg erklärt sich darüber hinaus solidarisch mit allen anderen Studierendenschaften, die gegen rechte Kräfte um den Erhalt ihres Mandats kämpfen müssen. Studentische Selbstorganisation, das allgemeinpolitische Mandat und die Finanzautonomie der Studierendenschaft sind notwendige Bedingungen für demokratische Universitäten. Für eine sinnvolle bundesweite Vernetzung unterstützt das Studierendenparlament der Universität Hamburg ausdrücklich auch den freien Zusammenschluss von Student*innenschaften (fzs).

Begründung

Die Verfasste Studierendenschaft wurde als Reaktion auf die 68er-Bewegung und das verstärkte Eingreifen in allgemeinpolitische Auseinandersetzungen für ein menschenwürdiges Leben für alle in Bayern 1973 abgeschafft und vier Jahre später in Baden-Württemberg. In den damals CDU/CSU-geführten Bundesländern wurde zur Begründung der Entdemokratisierung von Hochschulen der Mythos bemüht, es gelte, einen linksterroristischen „Sumpf“ auszutrocknen. Dass es ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und die demokratischen Grundwerte ist, kritische Stimmen auf diesem Weg zum Schweigen zu bringen, ignorierten die damaligen Regierungen. Ebenso, dass die Studierendenvertretungen nach dem zweiten Weltkrieg in Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung von Universitäten mit dem Ziel geschaffen wurden, wieder demokratische Strukturen in Deutschland aufzubauen. Denn jedes System kann nur dann ein demokratisches sein, wenn es in all seinen Instanzen demokratisch organisiert ist. Auf das Verhältnis von Staat und Universität bezogen ist dies besonders relevant, da Universitäten einen Bildungsauftrag zu erfüllen und Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden haben. Um solche Probleme durch demokratische Prozesse erfassen, analysieren und bearbeiten zu können, bedarf es selbstverständlich einer demokratisch legitimierten und gesetzlich verankerten Vertretung der größten Mitgliedergruppe einer Universität durch eine Verfasste Studierendenschaft. Es überrascht nicht, dass die Entscheidungen von 1973 und 1977 unter den beiden Ministerpräsidenten Alfons Goppel, einem ehemaligen Mitglied der SA und der NSDAP, bzw. Hans Filbinger, einem ehemaligen NS-Marinerichter, fielen.

Seit dieser Zeit haben Studierende permanent auf dieses undemokratische Missverhältnis hingewiesen. Denn nur unabhängige, selbstorganisierte und demokratische Verfasste Studierendenschaften bieten die Bedingungen für eine umfassende Vertretung der Interessen der Studierenden und gute Bedingungen für die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung von Universitäten. Es müssen überall die Bedingungen hergestellt werden, die politischen, sozialen und kulturellen Belange der Studierenden innerhalb der Universität und nach außen repräsentieren zu können. So ist z.B. die Finanzautonomie notwendig, um handlungsfähig zu sein und nicht, wie beispielsweise in Bayern, auf geringe finanzielle Mittel, die durch die Universitätsleitung gönnerhaft und unter Abgleich mit den eigenen Interessen je im Einzelfall "bewilligt" werden, abhängig zu sein. Dafür ist das allgemeinpolitische Mandat wesentlich. Konflikte an Hochschulen entstehen nie im luftleeren Raum, sondern sind Ausdruck von gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Deshalb sind sie auch nicht davon losgelöst zu betrachten, sondern müssen kontextualisiert und politisch entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien diskutiert werden. Wir fordern deshalb freie Meinungsäußerung für unabhängige Verfasste Studierendenschaften um politische Handlungsfähigkeit herzustellen und zu sichern! Hochschulpolitik als Gesellschaftspolitik ist ganz akut notwendig, das zeigen auch die neuen Autoritäts-Maßnahmen in Bayern und Baden-Württemberg. So ist das CSU-Polizeigesetz auch dadurch möglich geworden, dass es in Bayern keine organisierte und verfasste Studierendenschaft und damit weniger Raum für progressive politische Organisierung gibt. Insgesamt brauchen wir Universitäten, in denen die gesellschaftlichen Verhältnisse analysiert und kritisiert werden, damit gemeinsam eine soziale, gerechte Alternative zum neoliberalen Status Quo entwickelt und durchgesetzt werden kann.

Um beispielsweise zu Akkreditierung Stellung zu nehmen, muss die Möglichkeit gegeben sein, sich frei und kritisch damit auseinanderzusetzen, Konzepte und Alternativen zu entwickeln und in die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse zu kontextualisieren. Besonders effektiv kann dies durch den vorhandenen Zusammenschluss im fzs (freier Zusammenschluss von Student*innenschaften) erfolgen. Denn wenngleich hochschul- und bildungspolitische Entwicklungen sich teilweise auf Länderebene abspielen, ist gerade dann eine einordnende Vernetzung sinnvoll, um sich auf andernorts bereits erkämpfte Fortschritte berufen zu können. Zudem ist beispielsweise eine Analyse und Einschätzung des fzs von bundesweiten Neuerungen, wie der 2017 in Kraft getretenen Ausweitung des Mutterschutzgesetzes auf Studentinnen, deutlich effizienter, als wenn diese von allen Studierendenschaften je einzeln erstellt werden müsste. Auch zu sozialen Themen ist die Organisation von bundesweiten Kampagnen sinnvoll, wie beispielsweise in der aktuellen fzs-Kampagne gegen Wohnraummangel.

Die Notwendigkeit politisch handlungsfähiger Studierendenschaften, welche sich aktiv für die Verbesserung der Studienbedingungen wie für die Bearbeitung sozialer Probleme einsetzen, drückte sich in den zahlreichen jahrelangen Protesten und Forderungen zur Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft aus – mit streckenweisem Erfolg: Bedingt durch den Bildungsstreik von 2009/2010 musste die Grün-Rote Landesregierung in Baden-Württemberg dem Druck der Studierenden nachgeben und führte die Verfasste Studierendenschaft dort 2012 wieder ein. Der Verfassten Studierendenschaft wurde im baden-württembergischen LHG § 65 (4) zugesprochen: „Im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben nimmt die Studierendenschaft ein politisches Mandat wahr.“ Ein Recht, das in dieser Explizitheit mit der Reform 2017 – wiederum auf Verlangen der CDU – gestrichen wurde. Kurz darauf wurden 2017 zudem Studiengebühren für Ausländer*innen eingeführt.

Doch drastischer noch ist die Lage in Bayern, wo eine Verfasste Studierendenschaft noch immer nicht wieder eingeführt wurde. Dies macht sich für dort Studierende unmittelbar finanziell bemerkbar, unter anderem durch die deutschlandweit studierendenunfreundlichsten Semestertickets. Auch werden dort beispielsweise Studierende, die ihr 10. Bachelorsemester überschreiten, zwangsexmatrikuliert. Die Studierenden- und Bildungsproteste waren in Baden-Württemberg ausschließlich durch die finanzielle Unterstützung und Solidarität der Verfassten Studierendenschaften, unter anderem auch durch die Hilfe des Dachverbandes fzs, möglich. Ebenfalls waren viele studentische Projekte nur mit deren Unterstützung realisierbar, wie zum Beispiel die Organisierung des festival contre le racisme, lady*feste und Demo-Material. Diese Hilfe muss weiterhin den Studierendeninitiativen in Bayern zukommen.

Auch in Nordrhein-Westfalen sind die bereits erkämpften hohen Standards - eine Viertelparität sowie eine Zivilklausel sind dort im Hochschulgesetz verankert - weiterhin umkämpft. Seit der schwarz-gelben Regierungskoalition wird jetzt auch dort von konservativ-neoliberaler Seite versucht, die Errungenschaften einer progressiven VS durch eine Hochschulgesetzänderung völlig zunichte zu machen. So sollen neben Viertelparität und Zivilklausel auch gesetzlich verankerte, verhältnismäßig gute Beschäftigungsbedingungen für Mitarbeiter*innen an Hochschulen abgeschafft und Studiengebühren für Ausländer*innen eingeführt werden. So soll das kritische Potential von Universitäten und Verfassten Studierendenschaften unterdrückt werden. In der harten Bekämpfung durch rechte, konservative und neoliberale Regierungen und politischer Akteur*innen zeigt sich die Wirksamkeit der Arbeit der Verfassten Studierendenschaften für Demokratisierung, Allgemeinwohlorientierung und kritischer Aufklärung an Hochschulen und in der Gesellschaft. Dass diese notwendige Arbeit Verfasster Studierendenschaften weitergeführt und weiter ausgebaut werden kann, geht uns alle etwas an - ob in Hamburg, Bayern, Nordrhein-Westfalen oder über die Bundesrepublik hinaus.